Leserbrief von Martin van Ooyen

19. Februar 2021 | Martin van Ooyen, Bad Nauheim

Wer wählen geht, wähle vor allem ab.

Die Freiheit ist nicht parteienfähig. Diese Erfahrung kann jeder machen, der schon mal in einer Partei Mitglied war. Macht er von ihr Gebrauch, ist es mit seinem Fortleben in dieser Partei schnell vorbei. Das gilt natürlich für alle anderen ebenso. Die ewig beschworene „Geschlossenheit“ ist aller Freiheit Ende.

Der Kommunalwahlkampf ist einer für die, die in einer Kommune zu Hause sind. Auf den heutigen Plakaten für den 14. März 2021 hat das nur eine Partei wirklich verstanden: „weil wir HIER leben“; die anderen ergehen sich weitestgehend anderswo: die CDU immerhin wirbt mit hiesigen Gesichtern; das tun andere auch, aber sie begnügen sich damit nicht; und machen erst recht die richtig großen Fehler, vorneweg die FDP. Deren Phrasendreschmaschine schnurrt im vollen Durchlauf: die Zukunft, Herz und Verstand, Bildung, Bleiben wir mutig‘ usw. usf.

Alles politisches Leergut, es gilt immer und nie; ein fortlaufendes Wort zum Sonntag. In der Kommunal-Politik komplett wertlos. Es ist reinste Wählerverachtung; und das mit gebleckten Zähnen und knalligen Farben.

Wenn die Kommunalwahl eine Wahl ist für die Menschen, die hier leben, hat sie vorweg für diese Menschen Bedeutung. Daran allein sind die Parteien zu messen: was haben sie getan? Und was wollen sie tun?

Wer vor wenigen Jahren und bis zuletzt für die Einhausung des Sprudelhofes votiert hat, verdient jetzt keine Stimme. SPD und FDP. Schon gar nicht, wenn sie heute von Kultur und historischem Bewusstsein faseln. Sie haben beides nicht und haben das auch noch vorgeführt. Daran konnte auch die Gottsucherbande örtlicher Künstler nichts ändern, als sie versuchte, einem der eigenen Matadore den Rücken zu stärken. Der wurde auch nur aufs Glatteis geführt von Politik und Fachbereichsleitung, die unisono „einen großen Wurf“ halluzinierten, wo keiner war; und nur Geld ausgebaggert werden sollte. Das passiert, wenn selbsternannte Eliten die Bürger für dumm verkaufen wollen.

Wer hingegen für morgen einen Windradpark am Winterstein imaginiert, verdient ebenfalls keine Stimme. Vorweg die Grünen. Sie sind nicht grün, sobald es über Insektenschutz und Radwegeausbau hinausgeht. Sie sind Landschaftszerstörer.
Wer das sehen will, betrachte die grauenhaften Vorgänge im Reinhardswald, mitten im Märchenwald. Hessische CDU und Grüne gemeinsam im Windräderwahn.

Der gibt sich auch noch ökologisch; dabei ist es die reinste Großindustrie mit entsprechend schwerem Gerät. Gemeinsam in den Subventionsabgriff; gemeinsam Geld verdienen. Die Schneisen der Verwüstung in den Wäldern kann jeder besichtigen. Luftaufnahmen gibt es genug. Der vorgegaukelte Rückbau am Ende der Nutzungszeit ist auch nur eine Chimäre. Niemand wird die vielen hundert Tonnen Betonfundamente im Boden je entfernen.

Schlimmer aber ist die Landschaftsvernichtung. Jeder in der Wetterau kann die stille Zerstörung der Landschaftskonturen besichtigen. Nach 30.000 Windrädern in Deutschland muss schlicht Schluss sein; von freigewordenen Braunkohlegebieten womöglich abgesehen.

Dass Deutschland auf dem Energiesektor sich in eine Sackgasse hat drängen lassen, stimmt. Das ist jedoch kein Grund, diese Sackgasse auch noch am Winterstein enden zu lassen.
Wer sich nicht vorstellen kann, was Landschaftszerstörung, zu der natürlich nicht bloß Windräder gehören, für die Menschenseele bedeutet, möge intensiver Jürgen von der Wense lesen. Dann kann er umso fundierter wählen; und sicher keine Grünen. Deren Spitzenpersonal für den Bundestagswahlkampf im Herbst kann sich jeder in den Talkshowshows zu Gemüte führen. Es sind Auftritte, die den Zuschauern zeigen, für wie blöd die Grünen sie halten.

Die Wahlkampfplakate sind nicht nur der Müll von morgen, sondern in ihren Parolen schon der von heute. Das sieht man an ihrem Irrwitz, besonders deutlich an dem der FDP. Wer Plakatierung überhaupt noch befürwortet, und sei es, weil „die anderen es ja auch machen“, hat zu Ökologie und Zukunft einfach zu schweigen. Als Produzent von sinnbefreitem Müll. Der kommt keinem besseren Leben zugute.

Wer wählen geht, wähle vor allem ab.

Martin van Ooyen, Bad Nauheim

Den rabiaten städtebaulichen Eingriff mit voller Härte begreifen

Das neue Konzept für den Sprudelhof war überfällig; und es ist interessant; und einem Denkmal Nutzungserweiterungen zuzuführen ist nicht nur legitim, es ist notwendig.
Nach Lektüre der Erstveröffentlichung in der WZ vom 4. Nov. (der ‚ganz grosse Wurf‘) und der Vorstellung bei der Bürgerversammlung am 28. Nov. sollte aber eines viel klarer herausgestellt werden:

die Bebauung der freien  Seite der Ludwigstrasse ist ein Eingriff, dessen Rigorosität man gar nicht deutlich genug betonen kann; vor allem, wenn man ihm am Ende zustimmt. Eine fatale Stadtmöbilierung lässt sich wieder beseitigen, gebaute Irrtümer deprimieren über Jahrzehnte. Man kann diesen städtebaulich rabiaten  Eingriff wollen, man muss ihn aber auch in aller Härte begreifen; und benennen. Alles andere ist Ablenkung.

Die Ludwigstrasse ist ein einseitig bebauter Halbkreis, der den Sprudelhof einfasst. Diese einseitige Bebauung offen zum Sprudelhof ist der Charakter der Ludwigstrasse. Fast jede historische Postkarte, und von denen gibt es erstaunlich viele, belegt das; alle vorhandene Architektur an der Ludwigstrasse, aber auch schon an der Parkstrasse,  will den mehr oder weniger freien Blick auf Sprudel bzw Park; und ein neues Thermalbad und auch ein neues  Hotel sind noch nicht das Dementi dieses Blicks.

Der architektonisch inspirierende Grundgedanke der  Ludwigstrasse selber aber ist der Blick des Flaneurs auf die Jugendstilanlage. Wer sich daran vergeht, hat die Ludwigstrasse nicht verstanden; oder ist bereit, aus ganz anderen Gründen das Konzept dieser Strasse, gegen das natürlich über die Jahre schon genug gesündigt wurde (z.B. Taunusklinik, Deutsche Rentenversicherung), zu opfern: und der Grund dafür wird ja auch offen kommuniziert; es geht nicht in erster Linie um ästhetische Argumente, wie die Befürworter sie lancieren: es geht ganz profan um die Frage, wie komme ich an das grosse Geld, wenn ich die grosse Geste will?
100 Millionen  sind ein Wort; und jeder Bürger, dessen Zustimmung man ja gerne herbeiargumentieren möchte, muss sich darüber im Klaren sein, dass öffentliches, die Stadt Bad Nauheim prägendes, Gelände der Öffentlichkeit entzogen und der profansten Verwertung an private Interessenten übergeben wird: die ‚teuersten Grundstück der Stadt‘, wie Fachbereichsleiter Patscha ja auch offen kommuniziert. Dem grossen Geld und den Wünschen derer, die es haben, nachzugeben, ist ja so originell nicht; und Beispiele für ähnliche Vorgänge gibt es genug: plötzlich und spätestens bei der Vermarktung der neuen Gebäude an der Ludwigstrasse jedoch werden Privatleute mitreden wollen, deren Interessen niemals mit denen der Bürger gleichziehen werden: die haben mit ihrer Zustimmung Kerngelände abgegeben; und dürfen sich mit den avisierten Abständen zwischen den besagten Häusern trösten; und wollen wir wirklich wissen, wie je nach Fertigstellung dieser Häuser von vorne und hinten Balkone, Terrassen etc. privatmöbiliert sind?

Die Grundrisse, die hier wie auch andernorts nicht umsonst dem interessierten Bürger gerne  aus der Perspektive Gottes gezeigt werden, können keine 3D-Ansichten ersetzen; und auch die so gerne ins Gespräch gebrachte ‚hochwertige Architektur‘, die man ins Auge fasst, verkleistert verbal nur den viele Meter hohen Sperrriegel, den man am Ende doch haben wird: da mag es noch so viele Unterbrechungen zwischen den beabsichtigten ‚Stadthäusern‘ (mag man diesen Begriff noch hören?) geben: der Blick prallt ab. Jeder, der fussläufig vom Bahnhof kommt, freut sich auf den Blick in den Sprudelhof; und dann geht er nach links Richtung Stadt und darf sich Privathäuser anschauen, wo derzeit noch Jugendstil zu sehen ist. Seeuferbebauungen sind in Deutschland mittlerweile tabu, Bad Nauheim denkt immerhin über eine nach.

Man möchte gar nicht glauben, dass der Denkmalschutz hier so fröhlich kollabiert; oder geht seine Zustimmung , die fortlaufend öffentlichkeitswirksam zitiert  wird, vor allem und zunächst auf den Sprudelhof selber? Da wüsste man doch gerne vieles sehr viel genauer.

Martin van Ooyen, Bad Nauheim

Arroganz und eitle Selbstgewissheit

Arroganz und eitle Selbstgewissheit sind meistens schlechte Ratgeber, wenn es am Ende doch noch zu bösen Häusern geht. Zum veröffentlichten Stand der Ludwigstrassenbebauung bis zum Ende April 2018.

Einwendungen gegen die rabiate Ludwigstrassenbebauung schon vorab und gleich zu Beginn einer Diskussion, die noch gar nicht recht stattgefunden hat, zu denunzieren, disqualifiziert sich selber: die Leserbriefschreiber in der Wetterauer Zeitung seien die immer selben Neinsager etc.etc.; ein aufgeweckter Bürger wird das längst notiert haben. Bis in die höchste Verwaltungsspitze wurde unglaublich früh möglicher Widerstand oder auch nur Skepsis gegen die Ludwigstrassenbebauung verübelt; und par Ordre du Mufti zu unterdrücken versucht. Statt zur Chefsache zu machen, dass die Massnahmen so früh wie möglich dahingehend aufbereitet werden, dass auch der interessierte Laie sich ein Urteil erlauben kann; oder mindest soviel Vertrauen aufzubringen bereit ist, dass er die Massnahmen in kompetenter Hand zu wissen glauben darf. Nichts davon. Ein lokalpolitisches Kommunikationdesaster ersten Ranges, umstandslos und ohne Not schon angezettelt von den Befürwortern. Statt den Bürger einzubinden wird er unter Verweis auf Autoritäten und vermeintliches Renommee der Verantwortlichen verschaukelt.
Ein Bürgermeister, der sein Amt recht versteht, ist zumindest nach seiner Wahl und der Tendenz nach der Meister der Bürger: Bürgermeister für alle Bürger nämlich; und zwar auf Zeit. Hier in Bad Nauheim jedoch heisst es schon gleich zu Beginn (WZ vom 4.11.2017!): 'Zerreden lasse ich dass Konzept nicht'. Was ist das für ein Verständnis seiner selbst? Und des Amtes? Wenn die eigene Erleuchtung, die ja durchaus legitim ist, 'mutiger, genialer Entwurf für das Sprudelhofgelände' (WZ dito) usw., umstandslos mit Machtgehabe fusioniert, kann man sich ja gleich ins kleine Sonnenkönigtum einschiffen lassen. Den Widerstand, den man vermeintlich listig zu unterlaufen versucht, hat man selber nur fleissig mitprovoziert; und eine Debatte gewinnt an Härte, statt zunächst und erst einmal dem freien Austausch des Für und Wider zuzuarbeiten. Ein Kommunikationsdesaster ersten Ranges eben. Wurde wie hier der Einstieg erst einmal verfehlt, ist es kaum noch gutzumachen. Wie konnte es dazu kommen?
Jetzt (WZ vom 26.4.2018) heisst es auch noch, Simulationen und Visualisierungen der Straßenansichten können erst und frühestens 2019 vorgelegt werden, da andere Entscheidungen am Sprudelhof prioritär seien. Wenn man sich bei einem 100 Millionenprojekt vor Augen hält, in welch hohem Anteil die Ludwigstrassenbebauung zur Finanzierung beitragen soll, dann wäre hier doch alles dafür zu tun, diese Massnahme frühzeitig argumentativ in den Fokus zu stellen: Sollte man jedenfalls vermuten. Hier läppische, aber unbedingt notwendige 3D
-Vorabansichten, die zumindest das Grundschema vor Augen stellen, anbieterseitig aufzuschieben, heisst doch nur, alles andere auch zu gefährden, wenn das Ludwigstrassenprojekt am Ende doch noch scheitern sollte; und bereits an anderer Stelle im Sprudelhof getätigte Investitionen in Kredite überführt werden müssen.

Wie wenig klug muss man sich geben, hier selbstverliebt Blindekuh zu spielen und zu glauben, gegen die Inkompetenz der anderen Seite sei eh kein Kraut gewachsen. Der Ritt über den Bodensee ist womöglich vorprogrammiert; und ein unschönes Ende alles andere als undenkbar. Die Wirklichkeit ist oft nüchtern, und die Opfer der Zukunft werden dann die, die es derzeit gar nicht für möglich halten möchten. Gegen die interessierte Bürgerschaft sich an wichtigem Punkt zu verschanzen ist noch keiner Verwaltung gut bekommen; und strategisch klug ist es ebenfalls nicht. Auch da sollte sie selber schon aus Eigeninteresse viel genauer hinschauen, welche Mentalitäten sich ihr andienen. Das Image der grossen wie der kleinen Politik ist nicht das beste; und immer wieder wird es von ihr selbst bedient. Auch bei der kleinen. Überaus schade.

Was denn, wenn die Ludwigstrassenbebauung nachdrücklich von der Bürgerschaft abgelehnt wird? Heisst es dann, die Gegner und Skeptiker haben das ganze Sprudelhofprojekt gefährdet? Immerhin darf man auch hier erwähnen, dass die jahrelange Verschleppung am Sprudelhof eine durch die Politik ihrerseits war; die sich mit fortlaufender Gutachtenvergabe und den üblichen wechselseitigen Fraktions-Blockaden den Aufschub aller nachdrücklichen Entscheidungen erkauft hat; und wie es eben so ist, viele der seinerzeit Verantwortlichen haben ihre Sessel längst geräumt. Der Notstand, der hier und jetzt künstlich fabriziert wird,  bereitet schon jetzt vor, später gegebenenfalls den Skeptikern der Ludwigstrassenbebauung das mögliche Scheitern des 'grossen Wurfes' anzulasten; sollte es tatsächlich dazu kommen.
Hinzu tritt eine seltsam ihrer selbst gewisse Pro-Initiative (WZ vom 22.12.2017), die sich auch sofort selber feiern lässt: 'bekannte Bürger, die lange hier leben, sich durch ihre berufliche oder ehrenamtliche Arbeit einen Namen gemacht haben' ; und diese Pro-BI gibt ebenfalls gleich ihren Einstand mit übler Vorabdenunziation: auch sie sieht in den Gegnern oder auch nur Skeptikern der Ludwigstrassenbebauung 'die immer gleichen Einwender und Bedenkenträger' etc.; man zögert ja, guterzogen wie man ist, hier ad hominem zu argumentieren; darf aber erstaunt feststellen, dass die Pro-Initiative genau das mit aller Schärfe praktizitiert, und zwar gleich von Anfang an. Da ist die Panik schon Geburtshelfer: 'Kritik an einer lautstarken Minderheit ' wolle man üben und verhindern, dass das Konzept eines, wie üblich natürlich: 'renommierten Architekten', zerredet werde. Man will offensichtlich nur noch anderen, die man für unmündig nimmt, den bündigen Bescheid erteilen. Rathaus und Pro-BI: Ein Wettrennen der Pharisäer? Der permanente Verweis auf Kompetenz und Renommee ist nur noch nervig; in der Klippschule lief das mal so: Lernziel vorgegeben, Lernziel memoriert, Lernziel erreicht. Volkspädagogik aus einer anderen Epoche. Die allerdings Gott sei Dank vergangen ist.
Souverän ginge ganz anders; das Durchpeitschen von Entscheidungen und die eilfertige Herstellung von Beschlüssen, deren Folgewirkungen möglichst intransparent gehalten werden, muss Skepsis erzeugen; Fraktionszwänge und Hinterzimmerabsprachen können einer Sache dann schnell den Rest geben. Das Bad Nauheimer Rathaus als kleine Festung verriegelt gegen 'die Bürger draussen im Lande', wie es über viele Jahre hin mal so schön wie selbstentlarvend aus Bonn verlautete? Man hört bereits von Anweisungen, was aus dem Haus diskursiv nicht nach draussen dringen darf. Nur noch Augen zu und durch?
 
Schon bei der öffentlichen Erstpräsentation der neuen Sprudelhofkonzeption wurde im Hinblick auf die Ludwigstrassenbebauung deren 'grosser Entwurf' als einer ausgegeben, der dem Sprudelhof endlich zukommen lasse, was ihm bislang offenbar gefehlt habe: Die Einfassung durch die neuen Stadthäuser entlang der Ludwigstrasse gewähre ' ganz neue Perspektiven und Einblicke', so Hölzinger/Patscha in gemeinsamem Singsang, auf das Ensemble der Jugendstilbauten. Als ob der Sprudelhof erst jetzt zu sich selber käme und sein lang vermisstes Supplement erhielte. Grossherzog Ernst Ludwig muss da wohl etwas verpasst haben; oder unterlassen. Wer will das ernsthaft glauben? Das überaus peinliche Bild auf Seiten der Pro-BI 'vom schönen Gemälde, das durch einen passenden Rahmen noch aufgewertet wird' , legt dann noch nach und drückt die Investorenprosa gleich noch einmal ins erstaunte Publikum.

Der empfindliche Hörer solch kühler, aber auch leider üblicher, Architekten-und Investorenprosa, zumal auch auf Seiten ihrer eilfertigen Adepten, lauscht ihr die Absicht ab und ist verstimmt.
Immerhin und nicht nur beiläufig ist die Bebauung der Ludwigstrasse eben nicht vorrangig dem Wunsch nach einer ästhetischen Bereicherung zu verdanken, sondern wie in dankenswerter Offenheit gleich bei der Erstpräsentation kommuniziert wurde: Der 'grosse Wurf' ist einer vom Schielen nach dem grossen Geld; 1A-Bürgergelände durch Privatisierung einer profitablen Verwertung zuzuführen, um in einer vergleichsweise kleinen Stadt die Finanzierung der Gesamtinvestion überhaupt stemmen zu können. Der konsternierte und hoffentlich 'folgsame' Bürger darf sich dann mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Strassenschlucht wiederfinden, die sich im Halbkreis um die Jugendstilanlage zieht; sie wird nicht mehr so einfach abzuräumen sein wie verfehlt platzierte Fahrradständer. Doch ein Entwurf, den noch keiner kennt, wird das ja angeblich verhindern: so das Vorabgerede von 'unbedingt qualitätsvoller Architektur', die man ausschreiben werde; und die man sich ins Blaue hinein schönreden kann. 11 Meter Höhe sind dann keine 11 Meter Höhe mehr, wenn nur der richtige Architekt zum Zuge kommt. Metaphysik der Perspektive vermutlich. Mag man es glauben?

Ganz erstaunlich die übrigens fröhlich unkritische Berichterstattung zum Thema in der FAZ bislang; man möchte meinen, sie selber vermute, anders als in der Eigenwerbung stets mitsuggeriert, die klugen Köpfe tatsächlich nurmehr auf Seiten ihrer Leser. Grossflächige Artikel, die sich lesen wie gleich aus dem Bad Nauheimer Rathaus souffliert.

Unser lokales Blatt, die Wetterauer Zeitung, darf sich dahingegen schon wie ein revolutionäres Blatt fühlen; wenngleich auch sie Pressemitteilung und Kommentar nicht stets sauber zu trennen bemüht ist, sondern der ihr angetrauten Mitteilung gegebenenfalls gleich ihren eigenen Anteil einarbeitet: Da steht dann PM und ihr eigenes Kürzel und keiner weiss, von wem genau welche Akzentsetzung stammt. Das muss nicht sein und riecht nach verbummeltem Volontariat. Eine Erfahrung, der sich interessanterweise beide Bürgerinitiativen bereits ausgesetzt sehen durften.

Martin van Ooyen, Bad Nauheim – Zu Sprudelhof: Kreß als Wendehals? 31. Juli 2018 in der WZ

Mit Gutachten bereits genug blamiert

Man sollte schon verstehen, dass es bei der Sprudelhof-einhausung nicht um diesen oder jenen Architektenentwurf gehen kann; hat man das verstanden, schreibt man keinen Wettbewerb aus, wo diese oder jene Architektur die Gemüter ködern soll. ‘Rettet den Sprudelhof‘, die schöne Online-Petition, hat das ja verstanden;  und sie hat unter der Rubrik ‚unzensiert‘ die ortspolitische und kommunikationsdesaströse Geschichte der angestrebten Ludwigstrassenbebauung publiziert. Man kann da nachlesen; deswegen wird es hier nicht wiederholt; und auch die Stellungnahmen der Wetterauer Zeitung und ihrer Leserbriefe sind dort nachzulesen. Im Gegensatz zur FAZ war die Wetterauer Zeitung nämlich mutig und bot ein Forum.

Geld für einen Architekturwettbewerb ist Geld gleich zum Fenster hinaus. Das kann man machen nachdem die Ludwigstrassenbebauung auch bei den Bürgern ihr Plazet gefunden hat. Mit Gutachten und ähnlichen Späßen hat sich Bad Nauheims Politik doch genug blamiert. Das Geld ist weg und hat seinerzeit Entscheidungen fröhlich ins Ungefähre verschoben. Wie die Politik das eben so macht, wenn keiner wirklich Mut aufbringt und keiner wirklich auf irgendetwas setzen will. Parteiengezänk, das es sowieso immer wieder schafft, die Vernunft auszubremsen, mal ganz beiseitegelassen.
Dass die FDP sich mit Benjamin Pizarro aus dem Fenster hängt und dem Bürgermeister den ‚Wendehals‘ anhängt, verwundert dann auch nicht weiter und zeigt nur, wie mit man DDR-Begriffen auch heute so schön noch denunzieren kann.

Bürgermeister Kreß sollte den Hals viel weiterdrehen: zuerst hieß es von seiner Seite schon am Anfang aller Diskussion, er sei den Widerstand der ewig gleichen Matadore und Neinsager (gegen die Ludwigstrassenbebauung) satt; dafür wurde er mit Recht zerzupft: man beendet als Bürgermeister, d.h. als Meister für alle Bürger, keine Diskussion, die noch gar nicht angefangen hat.

Jetzt aber kann man dem Bürgermeister Kreß nur gleich empfehlen, ganz den Hals zu wenden und die Ludwigstrassenbebauung zur Sache der Bürger (und nicht der Parteien und Architekten und der von Patscha gehätschelten Investorenschar) zu machen. Ohne Wenn; und ohne Aber.

Da wird der ‚Wendehals‘ zum schönen Vogel, denn das ist der Wendehals. FDP-Fraktionschef Pizarro weiß anscheinend auch das nicht.

Martin van Ooyen, Bad Nauheim – Zu 'Die Meister des Grotesken' von Manfred Damm, MT vom 20. September 2018

Wenn die Gondeln Künstler tragen; merkwürdige Freunde des Sprudelhofes und seiner Einhausung

Nichts, aber auch gar nichts weist die Künstler und Architekten per se als kompetente Städtebauer aus; nur im konkreten Einzelfall ist es anders. Wenn in der Bad Nauheimer Ideenwelt einige Künstler als Bannerträger ihrer selbst in entschlossenem Unisono den Entwurf des Kunstprofessors zum Nonplusultra erklären, darf darin getrost die vorauseilende Solidarität einer Clique erblickt werden. Wäre dem nicht so, hätte es keinen Grund gegeben, dass eine PRO-BI, maßgeblich bestehend aus obiger Truppe, in früher Phase alle gegenteiligen Ansichten niederzumachen versuchte. Wie es ja auf wenig freundliche Weise prompt geschah. Der Einsatz von Ellenbogen und Agitation gehört eben doch zu denen, die sich den Status von Künstler-Avantgarde zwar gerne gleich selber zubilligen mögen; aber eben durchaus nicht darauf vertrauen, ihre Ansichten werden sich schon stillschweigend durchsetzen. Der Biedermannsakko steht dem Künstler nicht; und so bescheiden will man auch gar nicht sein.

Ein Leserbrief (WZ 20.9.2018) will nun einen Damm errichten: „Fachliche Kompetenz und politische Verantwortung“, so die überaus schlichte These, begründen das „Gesamtkonzept Sprudelhof“. Solch verbaler Treibsand ist für Dammbau allerdings wenig geeignet. Da nützt es nichts, Manipulationen nur den Gegnern einer Bebauung der Ludwigstrasse zu unterstellen.

Es waren doch die Stadtverordneten, die schon zum Einstand von der Rathausspitze zu einem Ja-Votum überlistet wurden, als gar nichts in trockenen Tüchern war. Patscha und Kreß haben gleich die Fiktion einer Gelddruckmaschine Ludwigstrassenbebauung angeworfen; und dazu munter eine breitflächige Zustimmung des Denkmalschutzes halluziniert. Das erwies sich als wenig klug; und so wurde dann die ästhetische Version vom Rahmen nachgereicht, der den Sprudelhof erst wahrhaft aufblühen lasse. Dafür war der Lenz dann da (WZ 22.12.2017). Wer die Menschen betrügen will, muss vor allen Dingen das Absurde plausibel machen.
„Wir werden in Zukunft nicht ruhen, die Bürger Bad Nauheims sachlich aufzuklären“ so der Leserbrief weiter; das darf man wohl polemischen Purismus nennen: Eine wenig subtile Drohung, wo der Bock als Gärtner nicht als Bock erkannt werden will. Mit den merkwürdigsten Mitteln wird seither versucht, den weggesperrten Sprudelhof als ästhetisches Phänomen anzudienen: Sichtachsen und Rahmeneinfassungen heißen die Köderworte aus dem architektonischen Erstsemesterbaukasten, mit denen ein für blöd verkauftes Publikum bei Laune gehalten werden soll. Ist die Bebauung da, ist der Sprudelhof zu einem gehörigen Teil verschwunden und einem privat residierenden Publikum anheimgegeben. Mit vielen Konsequenzen. Einmal dem Fehlläuten aus dem Rathaus gefolgt, und es ist nicht mehr gutzumachen. Nichts täusche darüber: Nur der Müller denkt, es wachse der Weizen als damit seine Mühle gehe.

Die herrliche Dachlandschaft des Sprudelhofs sei keine Schauseite, so auch die Denkmalschützerin Schubert öffentlich; allen Ernstes: „Abseite“; und so sei diese Landschaft von Wilhelm Jost, ihrem Schöpfer, auch nicht als Betrachterseite intendiert. Ein wenig gescheites Argument: Die Intention von Künstler und Architekt hat noch nie zureichend über die spätere Rezeption bestimmt; kann es auch gar nicht. Da ließe sich auch von einer Akademikerin ein bisschen mehr hermeneutische Kompetenz erwarten; wenn man von Denkmalschutz mehr verstehen will als nur Denkmalschutz. Und jede Wette darauf, dass die Investoren, sollten sie denn zum Zuge kommen, genau das Gegenteil behaupten und vom unverbaubaren Blick auf den Sprudelhof ihren Kunden vorschwärmen werden. Das Geheul möchte man hören, wenn man ihnen obiges Argument aus den bunten Werbeprospekten schlüge.

Jeder Befürworter der Ludwigstrassenbebauung ist ein Befürworter der Dominanz finanzieller Interessen. Jeder. Da mache sich keiner was vor. Die fortgesetzten Eiertänze sollen nur davon ablenken. Die architektonische Einschnürung und die Bereitschaft zur Verhunzung eines visuellen Entrees zum Park sind dasselbe; ihr Antrieb: Das liebe Kapital.

Martin van Ooyen, Bad Nauheim – Zum Metapherngestöber im Polittalk um den Sprudelhof, 27. Oktober 2018

Warum kein Maßanzug für Großherzog Ernst-Ludwig?

Die Grünen als Partei machen den vernünftigen Anfang und distanzieren sich von dem unbegreiflichen Wahnsinn einer Bebauung der Ludwigstrasse als Einfassung des Sprudelhofs. Gut so. Kehren infolge von Einsicht haben nichts Anrüchiges; auch wenn ein Herr Pizarro/FDP mit seinem Wendehalsgerede gemünzt auf Bürgermeister Kreß anderes nahezulegen suchte. Von Anfang an gab es leider statt einer Debatte gleich ein Votum aus dem Rathaus; und möglicher Widerstand wurde vorab ins Unrecht gesetzt: man wollte nur Modernisierungsverweigerer sehen.

Wenn die Kontrolle schwindet und der Effekt der Überraschung („gordischer Knoten“) längst verpufft ist, entgleiten zusehends die Metaphern: Zunächst war es das Geschwafel von der Ludwigstrassenbebauung , die wie „ein Bild den angemessenen Rahmen“ für den Sprudelhof erst herstellen würde (Johannes Lenz und Pro-BI); jetzt  kommt in der Frankfurter Rundschau vom 19.10.2018  allen Ernstes der „Mantel für die Madonna Sprudelhof“ (Peter Hölzinger) angeflogen; und man zeigt sich auch noch überrascht, dass es einen derart starken Protest geben würde.
Aber so läuft das eben; mit unsauberen Argumenten ein ausschließlich wirtschaftlich motiviertes Projekt in die Welt zu setzen und sich auch in der Politik vor den Patscha-Karren spannen zu lassen, das ist nicht eben clever. Ein bisschen mehr Selbstdistanz wäre angebracht gewesen und hätte auch den rechtzeitigen Rückzug von obiger Idee erlaubt, sobald die Seifenblase zu platzen droht. Jetzt wird in dieser Sache nur ein unnötiger, aber selbstverdienter Reputationsschaden bleiben; und die Bad Nauheimer Künstler der Pro-BI können sagen, wir sind dabei gewesen und haben auch ein paar Blendgranaten gezündet.

„Maßanzug für Ernst-Ludwig“ hätte verbal wenigstens noch gepasst; gerade auch angesichts der wunderbaren Porträts, die es von Ernst-Ludwig gibt. Aber „Madonna“? Kurz, es schien recht Wurst zu sein, in welchem Metapherngestöber der Sprudelhof versinkt.

Auch das Gerede vom „Juwel Sprudelhof“ ist ja kaum noch ernst zu nehmen, wenn ein Befürworter der Einhausung sich derart zu Wort meldet; wer das dennoch weiterhin unternimmt, muss sich fragen lassen, ob die Worte für ihn überhaupt noch die geringste Erdenschwere haben.
Nur ein weitgehend verkümmerter ästhetischer Sinn kann dem Sprudelhof derart am Zeug flicken und sich als Vervollständiger dessen inszenieren, der endlich Ernst-Ludwig und Wilhelm Jost zu sich selber führt.

Ein vorweggenommener Rückblick aus dem Jahr 2040 auf das Bad Nauheim dieser Tage, wo sich auch in verkehrstechnischer Hinsicht vieles geändert haben wird, weil die Verfolgung des laufenden Mobilitätsprogramms nicht mehr lange durchzuhalten ist, wird auch die ganze Misere der heutigen Diskussion offenbaren: Soll doch das ausschließlich wirtschaftlich motivierte Vorhaben einer Bebauung der Ludwigstrasse dazu beitragen, die Finanzierung der Parkplatzthematik am Sprudelhof anzugehen. Wegen Parkplätzen will man einer kleinen Kurstadt das Herz einkammern. Soll man den Nachkommen im Jahr 2040 dann schulterzuckend sagen:‘ Dumm gelaufen? Würden wir heute auch nicht mehr machen, aber 2020 waren eben andere Zeiten: Nun ist er halt verborgen, der Sprudelhof, war damals alternativlos‘.

Wir verstehen die Abrisswut unserer Vorgänger doch auch schon nicht mehr: Man sehe sich nur auf der Internetseite der Initiative Rettet-den-Sprudelhof die Linksammlung zur historischen Ludwigstrasse einmal genauer an; empfindsameren Gemüter kann das schwer ans Herz gehen.

Ulrich Schlichthaerle, der ehemalige Chef des Stadtmarketings, wies unlängst darauf hin, dass auch ein Bad Nauheim sich mal mit zeitgemäßen Formen der innerstädtischen Mobilität befassen könnte, die in anderen Tourismusregionen seit Jahren umgesetzt sind. Es sind immer die eingefahrenen Bahnen in den Köpfen, die unsere Welt so aussehen lassen wie sie aussieht; und das Geld und die Macht, die sich dort schön tarnen möchten, indem sie das Vorgegebene als das Beste andienen. Dass aber Bürgerzorn und Bürgerwille nicht mehr alles abnicken wollen, was Politik hinter dem Schutzschild von Experten und Gutachten ausheckt, zeigt sich auf immer mehr Feldern.

Martin van Ooyen, Bad Nauheim – Zum Artikel "Hölzinger-Modell vor dem Aus", WZ vom 7. November 2018

Hölzingers Mantel über Nacht weggeflogen

Die Spaltung der Bad Nauheimer Bürgergesellschaft, die jetzt öffentlich beklagt wird, hat die Politik selber zu verantworten. Wie konnte das (schon wieder) passieren?

Ein Bürgermeister, der ein unzureichendes Verständnis seiner selbst hat, führte mit List das Stadtparlament hinters Licht und dann in eine Sackgasse, aus der die meisten sich erst selbst befreien mussten. Das haben sie, wenn auch arg spät, vollbracht. Intelligent ist, wer Unhaltbares erkennt. Wenig clever ist, wer das als Umfallen und Wendehälsigkeit denunziert.

Weiterhin auf diesem Pfad: Die lokale FDP; deren großes Tamtam zugunsten einer Prüfung der beidseitigen Bebauung der Ludwigstrasse lässt sie ebenso wie ihre große Mutter wieder sehr seltsam aussehen. Von wirklicher Liberalität, die sie so gerne für sich reklamiert, wenig bis nichts. Die FDP-Matadore Pizarro und Weber stehen beschämt da, ohne es wirklich gemerkt zu haben. Man lese nur ihr fortgesetzt ödes Facebook-Zeug zum Thema Sprudelhofeinkammerung; und ihre öffentlichen Stellungnahmen, in denen über viele Wochen ungeprüft wildestes Zahlenmaterial kolportiert wurde. Just diese Partei schreckte nicht einmal davor zurück, wenn die Ludwigstrassenbebauung scheitere, könne eine Erhöhung der lokalen Steuern folgen. Es lebe der Bürgerschreck; schon skurril, wenn der sich als Partei verkleidet. Wahre Liberalität ist eine Herzens- und Geisteshaltung; Liberalismus dessen Überführung in ein politisches Programm. Mit ihm wird sie in ein anderes Register eingetragen, das hier leider all das mit sich schleift, was Parteiverdruss so verbreitet macht.

Und weiter: Klaus Ritt und seine Pro-BI ritten ohne jeden Blick nach rechts und links auf einem toten Pferd in den Sumpf; kein Münchhausen holt sie da wieder raus. Aufklären wollte man und einen Damm errichten. Zu dessen Bau jedoch kam es nicht mehr. Man hätte das frühzeitig erkennen können. Nur der wie immer wunderbare Jürgen Wegener hat mit seinem Bilbaomodell einen tollen Beitrag geleistet: Bilde Künstler, rede nicht. Genau so hat er es gemacht, der intime Goethekenner.
Dass nun auch der Bürgermeister „enttäuscht“ ist, kann als schlechter Witz gewertet werden; es sei denn, er ist enttäuscht über sich selbst. Nur das ergibt einigermaßen Sinn: Verantwortung übernehmen heißt nämlich hier, von Anfang an die schweren und plumpen Fehler in der eigenen Kommunikation zu erkennen. Wer hat da eigentlich beraten? Hat da überhaupt jemand beraten? Oder war es der „gordische Knoten“, den man (selber ein   Alexander der Große) zerschlagen haben wollte, der blind gemacht hat für das weitere Vorgehen?   
Dem Stadtparlament viel zu früh eine Zustimmung abzunötigen; schon ganz zu Beginn, wo nichts in trockenen Tüchern sein konnte, ein Okay des Denkmalschutzes zu halluzinieren; und auch jetzt schon wieder den Thermenneubau als möglicherweise gefährdet anzusehen: All das zeigt, konzises Nachdenken findet nicht statt; einen Plan B gibt es nicht; eine artikulierbare Strategie hat man nicht, und aufrichtige Kommunikation in wilden Zeiten kann man nicht. Man? Ein Bürgermeister, der sich als verwaltungserfahren wählen ließ und nicht recht zu wissen scheint, wie Politik geht.

Nach der erfolgreichen Wahl hat der Bürgermeister Meister für alle Bürger zu sein; das heißt ja nicht orientierungsloses Herumflattern im Wind, sondern die Entwicklung eines politischen Prozesses zu gestalten; stattdessen wurde hier die Spaltung von ihm selber mitten in die Bürgerschaft getragen; eine Spaltung, die man nun lauthals beklagen lässt.
Alles gut im Hinterzimmer? Havarie auf breiter Front in der Öffentlichkeit. Nichts als ein Scherbenhaufen, angerichtet von der Rathausspitze. Zum Jahresausklang eine schöne Bescherung. Wird es jetzt wieder so weitergehen? Wo Optimismus möglich ist, soll er ja sein; aber hier? Soll das weiterhin unter Anfangsfehlern verbucht werden? Oder arbeitet hier schon jemand längst unbewusst dem Storno seiner eigenen Wiederwahl entgegen?

Martin van Ooyen, Bad Nauheim – Zur Beilage von Kaus Ritt im Briefkasten, WZ vom 15. November 2018

Bremsversagen

Wer schon einmal in Asien oder Afrika war, kennt was man Kulturschock nennt: zunächst sind Zeichen und Farben und Gerüche, die dem Ankömmling entgegenschlagen, nicht zu deuten. Etwas von diesem Schock erfährt, wer letztens seinen Briefkasten leerte und den Flyer von Klaus Ritt und seiner Pro-BI in Hände hielt: Ist so etwas möglich?

Ja, es ist nicht nur möglich, sondern wirklich. Dieser Flyer gibt keine Lesefreiheit, er haut sich dem Leser um die Augen.
Und er ist schlecht gemacht. Folgen wir nicht dem ersten Impuls, ihn ungelesen wegzuwerfen wie andere Prospekte von Teppichhändlern auch. Was gibt es zu lesen? Viel Demagogie und Ablenkung. Reine Demagogie den zwei Initiatoren der anderen Bürgerinitiative gegenüber. Ablenkung davon, dass der Sprudelhof eben doch visuell abgesperrt wird. Der Eiertanz ist offensichtlich, wenn Bausünden aus der Vergangenheit an der bebauten Seite der Ludwigstrasse jetzt der Rechtfertigung dienen sollen, auf der anderen Seite noch weitere hinzufügen. Jede Bebauung dort ist eine.

Typischer Anfängerfehler: statt um Stimmen zu bitten (oder deren Aufschub), fordert der Flyer dazu auf, einer anderen Initiative das Votum zu versagen. Wie in der Politik: von Freiheit reden wir gerne, im konkreten Abstimmungsfall stellen wir sie aber lieber zur Seite: Auf dass nicht einer von selbst darauf komme, was er als angesprochener Wähler entscheiden wird. Der Souverän ist für sonntags, seine Hintanstellung für den Werktag. Klaus Ritt hat ein klassisches Werktagspamphlet geschrieben.

Schrecklich grelle Farben und ein wildes Umsichschlagen verraten die Panik, die hier am Werk ist. Gediegen ist hier nichts; und so ging es leider bei der Pro-BI von Anfang an.
Der Flyer ist eine einzige Sünde gegen freundliche Lesbarkeit; schon der typographische Laie erkennt das. Prägnanz wird durch pausenloses Geschwätz ersetzt; die treibt die Anzahl der Buchstaben hoch. Buchstabensalat kennen wir noch aus Kinderzeiten; Klaus Ritt bringt uns dorthin zurück und behandelt den Leser, den er für blöd halten muss, wie ein Kleinkind; wir werden an die Hand genommen, in den Wald geführt und dort ausgesetzt. Abgeholt wird nur, wer dann wieder nach dem Verfasser ruft und ihm in jeder Hinsicht folgt: “Ruhe bewahren und Abwarten“; diese im Flyer allen Ernstes abgedruckte Parole der Pro-BI ist tiefstes Biedermeier; Klaus Ritt verkauft sie uns als Blick in die Zukunft. Was ist hier mit einigen Künstlern in Bad Nauheim los? Warum kommt nicht ein bisschen mehr Mühe und Respekt? Identifizieren sie sich mit dem Flyer? Oder dominiert hier wieder einer, der ohne Dominanz nicht mehr kann? Und die eigene Umgebung schweigt betreten?

Selbst das ursprünglich so überaus attraktive Porträtphoto von Ernst Ludwig wird visuell ruiniert: ein Gespenst schaut uns an. Und das berühmteste seiner Zitate wird vergilbt und dem plumpesten Missbrauch überantwortet: „Habe Ehrfurcht vor dem Alten und Mut, das Neue frisch zu wagen“.

Es gibt meines Erachtens nur zwei Gründe für dieses Pamphlet: Einer davon ist Zwanghaftigkeit. Da kann einer nicht hinnehmen, dass seine Pro-BI den fortlaufenden Dämpfer erhält. Deswegen kommt der Ritt auf totem Pferd in den Sumpf an kein Ende. Eine jüngere Lehrergeneration als die, der Klaus Ritt angehört, wird seinen Flyer zur Veranschaulichung dessen nehmen, wie man es nicht machen sollte. Schade ums Papier, schade um die Lesezeit. Die eigene Sache kann man auch selbst um die Ecke bringen.

Martin van Ooyen, Bad Nauheim – WZ vom 22. November 2018

Feuilleton, Besserwisserei, Bildung? Für Ernst Ludwig immer!

Jeder Leserbrief verdient den Respekt dessen, der sich aus der Deckung begibt; und seine Ansichten zur Diskussion ausbreitet. Einer Stadt kann das nur guttun. Und wer etwas nicht will, findet Gründe; wie denn auch sonst? Die Bebauung der Ludwigstrasse ist ein Sakrileg; wer das nicht sieht, trägt seinerseits Gründe vor. Das ergibt dann die Debatte.

Meine Kritik am Bürgermeister ist hier eine am Bürgermeister in der Affäre Sprudelhofeinfassung; und nur das; das wünsche ich mir schon mitgelesen zu haben. Jahrelange Versäumnisse der Stadt Bad Nauheim in Sachen Sprudelhof stehen doch gar nicht in Rede. Niemand bezweifelt, dass es hier und andernorts endlich vorangeht; und wer Vorschläge zur Nutzung des Sprudelhofes sucht oder hat, trägt sie vor. Die Retterinitiative hat auch genug Alternativvorschläge zur Gestaltung gemacht. Wird das nicht gelesen? Das Rathaus jedenfalls wischt sie vom Tisch und hält sie sich mit formalen Gründen vom Hals. So kann man natürlich einen politischen Prozess gestalten, indem man ihn blockiert. Das ist seinerseits ungehörig.

Kein Rathaus, von dem es so schön heißt, der Bürger verlasse es klüger als hineinspaziert, ist ganz dicht. Stellt einer das als Realist in Rechnung, verhält er sich als Chef dieses Hauses anders. Ganz einfach. Transparenz und klare Worte schließen einander nicht aus. Hinterzimmerpolitik und Aufrichtigkeit jedoch sehr wohl.

In Deutschland wird Magistern, Doktoren, Künstlern und Bürgermeistern ein Respekt entgegengebracht, den sie nicht wegen ihrer Titel verdienen. Sondern erst im konkreten Einzelfall. Wenn ein Bürgermeister sich von den jüngsten Beschlüssen von CDU und UWG enttäuscht zeigt und im gleichen Atemzug von der erneuten Gefährdung des Gesamtprojektes spricht, ist keine Seriosität mehr da. Das ist ungehörig. Möchte Leser Lothar Frank das ignorieren? Er scheint die tägliche Agitationsarbeit aus der Machtposition eines Bürgermeisters recht heiter einzuschätzen; oder möchte er sie nicht erkennen? Das ist ja legitim, muss aber einem anderen nicht vorgehalten werden. Ähnlich die berühmte Verantwortung: Der Kritiker eines Romans muss auch keinen besseren schreiben; aber er muss wissen, was er kritisiert. Das habe ich unternommen; und ich bin selber überrascht, wieviel Zuspruch es hinter den Kulissen gibt. Das freut ungemein; und jeden Satz und jedes Wort überlege ich dreimal. Man möchte ja auch dem Publikum etwas bieten. Wer dann dennoch Anstoß nimmt, nimmt Anstoß; ist ja okay.

Der gordische Knoten sei zerschlagen? Das Rathaus zerrt gleich einen neuen herbei und hängt Bebauung und Sanierung schon wieder aneinander; und der Denkmalschutz wird auch noch hineingeknotet. Was macht man denn, wenn in der leuchtenden Zukunft der Architektenvorschläge zur Bebauung ein Bürgerentscheid trotzdem Nein sagt? Da wird der Denkmalschutz über Nacht ganz fromm werden. Aber bis dahin schön das Gegenteil behaupten. So läuft das hier. Wo bleibt das Positive? Eben; es ist einfach nicht da.

Der Tatbestand der Majestätsbeleidigung ist hinfällig; gewählte Personen sind keine Majestäten, sondern Autoritäten auf Zeit; und sie selber haben schon längst einen Beitrag geleistet, wenn sie härter angegangen werden. Wie hier, wo den möglichen Gegnern einer Bebauung der Ludwigstrasse von Bürgermeister und Pro-BI gleich zu Beginn entgegengehalten wurde: „immer dieselben Neinsager“, „ich bin es satt“, „es kotzt mich an“ etc; ich bin meinerseits erst hierdurch munter geworden, weil ich genau das für eminent respektlos und ungehörig halte. Als Bürger.
Sonntags in die Kirche rennen kann jeder; viel wichtiger ist jedoch, Wertschätzung für das Vorhandene aufzubringen: Wenn das etwas so Besonderes ist wie der freie Blick auf Ernst-Ludwigs Sprudelhof. Begründungspflichtig ist hier der rabiate Eingriff: Und was bringt er vor? Die Finanzierung von Parkplätzen. Ernst Ludwigs Sprudelhof einzusargen ist kein Kunststück. Jedes Atomkraftwerk hat seine Rückbauoption; wie steht es um die Ludwigstrassenbebauung mit dem, was wir den Nachkommen wegnehmen?

Aber beklagen, ein Bürgermeister werde geringgeschätzt. Verkehrte Welt.


Martin van Ooyen, Bad Nauheim – WZ vom 26. Mai 2019

Sprudelhofgeschichten, die neue Therme!

Am 16. Mai. 2019 hat Bad Nauheim die größte Investition seiner Stadtgeschichte beschlossen. Den Neubau der Therme. Nach den verlorenen Jahren, die immer mit der Ära Häuser und Nell-Düvel verbunden bleiben werden, bekommt der Sprudelhof den Anschub, den er so lange nicht hatte. 40.000.000.- Euro sind ein großes Wort. Nachdem Bau- und Finanzausschuss für Variante A grünes Licht gaben, klopften Bürgermeister Kreß und sein Patscha sich mit Recht auf die Schulter. Gut gemacht. Jetzt fehlt nur noch das Stadtparlament.

Die kaum 50 Zuhörer konnten die erforderliche Nutzerfrequenz erfahren. Sie ist ehrgeizig, und die Bad Nauheimer Bürger sind genauso wie auswärtige Besucher aufgerufen, sie zu erfüllen. Die Voraussetzungen für eine große Sache sind vermutlich gegeben.
Soweit der erfreuliche Teil. Obwohl das ausschließliche Thema die Therme war, stellten die Grünen ihr Junktim in den Raum, in die Abstimmung zum Thermenneubau auch die Versenkung von Bibliothek, Spielstätte und TAF ins Badehaus 3 festzuzurren.

Warum?
Sie ahnen, was jeder vernünftige Bürger selber wissen kann, dass die ab jetzt überaus angespannte Finanzlage die absurd kostspielige Verlagerung nicht zulassen wird. Ihr Schaufensterargument: Die jahrelange Belebung des Sprudelhofes sei vor allem auch der ehrenamtlichen Tätigkeit der Schauspieler zu verdanken.

Das einmal gesagt, sprangen erwartungsgemäß auch andere Parteien auf diesen Spielstätten-Zug, um zumindest verbal mitzufischen. Das geht dann ins Protokoll und schielt doch nur nach jenen, bei denen schnell der Verstand pausiert, wenn von Spielstätte und TAF die Rede ist.

Es war dann alles gesagt, aber noch nicht von jedem. Darin sah FDP-Mann Pizarro eine Aufforderung, von seiner Seite eine ausführliche Pirouette zu drehen. Einigen Zuhörern war anzusehen, was zu erwarten war. Sie wurden nicht enttäuscht. Am Ende dieser eitlen Ausführungen, in denen kein einziger neuer Gedanke zu hören war, blieb nur die alte Frage:
Warum bedarf es der FDP? Eine Frage, die sich bundespolitisch spätestens seit Westerwelle stellt. In Bad Nauheim wird sie jedenfalls nicht beantwortet. Das war schon bei den dezidiert unwahren Behauptungen zu der Finanzierung der Sprudelhofeinhausung zu sehen. Seitens der FDP. Sie stellt sich zwar gerne dar als Partei der Leistungsträger und der finanziellen Sorgfalt; löst es aber schon in der Lokalpolitik längst nicht selbstverständlich ein.

Immer wieder schwappt die abgelehnte Bebauung der Ludwigstrasse hoch. So auch auf dieser Sitzung; in Nebensätzen wird sie erwähnt, wie bei den Wiederkäuern. Trotz der Unterstützung einer Bad Nauheimer Künstlerclique, die sich der Sache annahm, ging sie bekanntlich schief. Es hatte sich gezeigt, dass die Künstler von Städtebau so wenig Ahnung haben wie jeder andere Bürger auch, der sich nicht explizit damit befasst. Der Nimbus des Künstlers, mit dem er auf den Bürger losgeht, will es natürlich anders. Wie die verrückten Barden und Schauspieler im TV sich für vermeintlich tiefere Einsichten in das „Gute“ abfeiern lassen, wollten die Bad Nauheimer Artisten der Sache ihres Kollegen Hölzinger den nötigen Schub geben.

Prompt sah Klaus Ritt seine Stunde gekommen. Zur Führungsübernahme. Seine wenig subtilen Flyer als Sprecher der Künstler flatterten in die Haushalte, um dort ihr gutes Werk zu verrichten. Meinte er. Dieser Schuss ging nach hinten los; und Vorreiter Ritt fand sich verdattert vor Gericht wieder.
Das war nun kein „WIZ“ wie jene, wo mit Gründen drangeschrieben steht, dass es welche sind; wie es bei seinen damaligen Beiträgen zur Wetterauer Zeitung so oft der Fall war (siehe Porträt in der WZ 16/5/2019). Die schienen jedenfalls mir immer wie aus der Zeit gefallen: Zu ihrer merkwürdig unpräzisen Druckgraphik stellte ich mir immer einen Flokatiteppich vor. Der war vor vierzig Jahren schwer angesagt. Aber was versteht ein blöder Bürger wie ich schon von WIZ-Kunst? Er lacht lieber über etwas Anderes.

Martin van Ooyen, Bad Nauheim – WZ vom 16. Juni 2019

Sprudelhofgeschichten; der Jugendstilverein

Bei der Erwähnung von Spielstätte und TAF setzt in Bad Nauheim alsbald der Verstand aus; das war auch auf der Stadtverordnetensitzung zum Thermenbeschluss am 23.5.2019 wieder zu hören. Altbürgermeister Witzel hat das Allervernünftigste dazu gesagt: Nicht immer TAF, TAF, TAF als die Helden einer Belebung des Sprudelhofes abfeiern, sondern den Jugendstilverein.

Der nämlich ist nicht jene auch gern mal geschlossene Gesellschaft, die mit großer finanzieller Unterstützung der Stadt ihre Ehrenamtlichkeit zur Schau stellt. Wie Spielstätte und TAF. Und die die Politiker über jedes Stöckchen springen lassen, das sie ihnen hinhalten. Weil die jenen Shitstorm befürchten, den agile Minderheiten so hervorragend bespielen. Vor allem, wenn sie etliche Millionen Euro beanspruchen, über deren Legitimität bisher jede ernsthafte Diskussion verweigert wird.

Es sei, so Witzel, der Jugendstilverein, der sich in jahrelanger Arbeit um den Sprudelhof verdient gemacht habe. Was Hiltrud Hölzinger und Gisela Christiansen und etliche andere in jahrelangem Engagement investiert haben, verdient die Achtung aller Bürger; und ein jeder sollte sich das auch immer wieder ansehen; und es öffentlich anerkennen. Sie gehören nicht zu jenen Faselköpfen, die das „Juwel Sprudelhof“ im Dauerzitat haben; und dann dessen kulturbarbarische Einhausung für eine Parkplatzfinanzierung zum Besten geben. Wie unsere FDP-Matadore und einige andere. 

Was aber ist mit der Führung dieses Jugendstilvereins durch Herrn Hilge los? Der hat es, als die Reihenhausbebauung auf der Ludwigstrasse zur Debatte stand, zu keiner einzigen Stellungnahme gebracht. Dann Anfang 2019 der Jahresrückblick auf 2018, ich war selber dabei, erfasst den Vorsitzenden ein Mutanfall: Die „Retter des Sprudelhofes“ und umgefallene Politiker hätten, so Hilge, mit ihrem Erfolg die jahrelangen Anstrengungen des Jugendstilvereins zunichtegemacht. Das wird dann im ‚Wochenboten‘ auch noch wiederholt: Man habe „sich der Gestaltung des Areals verweigert“.

Warum vorher keine Stellungnahme, als Einflussnahmen noch Sinn gemacht hätten? Das ist natürlich zunächst recht einfach; abgesehen von der Lähmung durch die Hölzinger-Verbindung ist der Jugendstilverein auch in der Sache Reihenhausbebauung selber gespalten. Bohrt man hier ein wenig, sprudelt sofort die Sole hervor.
Ein Vorsitzender, der diese Ambivalenz nicht darstellen kann, ist keiner. Nachher den Helden zu spielen ist erbärmlich; und es ist auch infam, wie es infamer nicht geht. Über 400 Mitglieder haben doch ein Anrecht darauf, dass ihre Führung Differenzen differenziert darstellen kann. Man möchte sich gar nicht vorstellen, was solch ein Vorsitz im Beirat vom Sprudelhof treibt, wenn es um handfeste Interessen im Ausgleich von Stadt und Wiesbaden geht. Wie man hört, glänzen die Vertreter aus Wiesbaden im Kuratorium Sprudelhof auch immer wieder durch Abwesenheit und torpedieren jede Abstimmung. Angesichts dessen ist dann verspäteter Gratismut des Vorsitzenden vom Jugendstilverein womöglich gar nicht so relevant? Könnte man sagen. Kann man aber nicht.

Auch ein wichtiger Verein wie der des Jugendstils braucht in der Führung nicht nur das, was man in der Politik Diplomatie nennt; und was im alltäglichen Leben oft auf Feigheit hinausläuft. Verve und intelligente Agilität sind erforderlich, wenn ein Verein, der wie ein jeder auch mit Überalterung zu kämpfen hat, nicht untergebuttert werden will. Sonntagsreden braucht keiner; und die nachträgliche Beschimpfung von Initiativen, die nicht ohne Grund erfolgreich sind, schon gar nicht. An solcher Beschimpfung wird nicht Enttäuschung sichtbar, sondern das Fehlen von Verstand. Gerade, wenn sie wie hier, nachträglich erfolgt. Der Jugendstilverein habe „einfach keine Lobby“ (WZ 19/3/2019), so das Gejammer weiter. Lobbys schafft man sich selber, wenn man kann.

Sollte Vorstand Hilge, als Künstler Peter Hölzinger kurz vor dem Ende seines großen Wurfes noch den „Mantel der Madonna“ ins Spiel brachte, mit dem er Sprudelhof und Petersdom fusionierte, vom Wehen dieses Mantels verwirrt worden sein? Da krachte es nicht nur im Gebälk der Semantik: Wenn der Künstler metaphorisch überreizt, zeigt es beim Architekten ein Problem an.

Martin van Ooyen, Bad Nauheim – WZ vom 12. Juli 2019 – zu zwei Leserbriefen in der WZ vom 25. Juni 2019

Rechtzeitig mitreden oder komplett schweigen
Warum nur, Vorstand Hilge, warum?

Lame Ducks signalisieren das Ende einer Ära; und Empörungsbotschaften ihrer Anhänger machen den  großen Wind, so auch diese beiden Leserbriefe. Richtig lesen können sie nicht, da schießt ihnen die eigene Empörung quer. Wenn sie lesen, eine von mir aufgespießte These von Vorstand Hilge „zeuge nicht von Enttäuschung, sondern von Mangel an Verstand“, dann lesen sie, der ganze Mann sei gemeint. Ist er aber nicht.

Ich setze meine Worte schon genau. Wenn ich von Vorstand Hilge schreibe, schreibe ich von Vorstand Hilge. Und nicht von einem Privatmann, der mit Vornamen Andreas heißt. Das ist genau der Punkt, liebe Selbstaufscheucher. „Ein Satz ohne Verstand“ ist nicht dasselbe wie „ein Mann ohne Verstand“. Ich weiß, dass Schreiben schwer sein kann; Lesen allerdings ebenfalls.

Das Ehrenamt: Von ihm ergeht ein Anspruch an den Inhaber. Als Strategie der Immunisierung ist es nicht zu akzeptieren. Das ist wie ein Politiker, der sagt: Ich trage Verantwortung; und deshalb, lieber Bürger, sei still.
Was ist mit meiner Feststellung, der Vorstand vom Jugendstil schweigt öffentlich, während die Bebauung der Ludwigstrasse verhandelt wird; und geht dann, als alles entschieden ist, auf die erfolgreiche Bürgerinitiative und ihr beistimmende Politiker los? Hilge hat nicht einfach nur Bedauern geäußert über eine Entscheidung, die ihm missfällt. Er hat nachgetreten. Jahrelange Bemühungen des Jugendstilvereines seien kaputtgemacht worden. Und es war Vorstand Hilge, der umgefallene Politiker (CDU/Grüne) als welche bezeichnet hat, die "sich der Gestaltung eines Areals" verweigert hätten. Ein Vereinsvorsitzender missbraucht seinen Posten, um eigene Ressentiments auszuleben. Sieht sie so aus, die Ehre eines Ehrenvorsitzenden?

Das hätte er sich alles sparen können. Weil es sinnlos war. Ich sage, komplett schweigen; oder eben rechtzeitig mitreden. Haben meine Kritiker ihrerseits keine Courage? Und können sie ein wenig mehr Substanz zum Thema, das ich hier aufgeworfen habe, beitragen? Bisher kam da nichts. Einfach nichts.

Martin van Ooyen, Bad Nauheim – WZ vom 26.10.2019

Aufs Gaspedal drücken, auch wenn der Tank schon leer ist?

Zu: „Friedhof: Grünes Licht trotz Protest“ Kommentar „Gefährlich“ von Bernd Klühs,
WZ vom 19.10.2019 
Würden die Menschen immer wieder mitbedenken, wie sterblich sie sind, würden sie nicht umstandslos von ‚großen Würfen‘ faseln; sondern und stattdessen, wo sie als Politiker gefordert sind, die Alternativen, die es immer gibt, gleich mitentwickeln; und verschiedene Konzepte den Bürgern zunächst zur Diskussion und hernach zur Abstimmung vorlegen.

Jürgen Patscha hatte mit Künstlerarchitekt Johannes Hölzinger seinerzeit den großen Wurf entwickelt; im Hinterzimmer; und ihn dann mit großem Pomp zur fertigen Freigabe auf den Tisch gewuchtet. Wer in der Trinkkuranlage bei der Präsentation dabei war, wird sich erinnern. Es lief dann später nur nicht so, wie die Damen und Herren es sich so schön dachten.

Bürgermeister Kreß, Stadtrat Krank und fast der gesamte Magistrat ebenso wie die Stadtverordneten zuckten zusammen und entschieden alsbald: Tolle Sache. Im Detail wusste zwar keiner etwas Genaues, aber man kann ja schon mal dafür stimmen. Zumal wenn wichtige Gesichtspunkte der Parteiräson direkt mitberücksichtigt werden können.

Schon war gleich zu Beginn wieder alles falsch angefangen. Von der Politik. Die Wohnbebauung in der Ludwigstrasse wurde den Bürgern als alternativloser Bestandteil des großen Wurfes mitangedient; ähnlich derzeit das Hospiz an der Johanneskirche. Wenn eines, dann nur dieses und nur hier. Schon wieder zielgenau daneben.

Es sind die Präsentatoren selber, die die Bürger unter Ja/Nein-Druck stellen. Die Berliner Politik macht es ihnen oft vor; da denken sich lokale Klein-Matadore, das könne wir schon lange. Sie können es aber nicht. Es sind immer wieder Politiker, die aufs Gaspedal drücken, auch wenn der Tank schon leer ist.

Das sollte auch der Kommentar von Bernd Klühs der Öffentlichkeit vor Augen führen; und nicht umstandslos von „Verwahrlosung der Debatten-Kultur“ schreiben. Diese Kultur ist kein unhintergehbarer Zustand, an dem man sich aufhängen kann. Mit der Sprudelhofgeschichte sei es angefangen, so der Kommentar. Stimmt auch nicht.
Die Skiwiese brachte den ersten Bürgeraufstand. Auch hier war die Politik klammheimlich losgezogen. Mit Figuren, an die wir uns heute schon nur mühsam erinnern. Die Skiwiese aber ist noch da. Zur großen Freude der meisten.

Eigentlich ist es ganz einfach; wenn man es denn zu denken versteht. Gerade der gute Kompromiss will gut vorbereitet sein. „Gefährlich“ ist nicht, was Herr Klühs für gefährlich hält. Seine umfassende Stellungnahme ist nicht umfassend; sie heizt selber herbei, auch und sogar dann, wenn sie das gar nicht beabsichtigt. Weil sie nur die Bürger anmahnt; und nicht die Politik, die zuvor breitflächig versagte.

Die offensichtlich wilden Geschichten um die Friedhofsbebauung in Nieder-Mörlen, die der Anlass für Klühs Kommentierung sind, haben mit der unguten Vorgeschichte, die hier als Popanz aufgebaut wird, nur wenig zu tun; und genau darum geht es. Man muss, auch als Kommentator, die Vorgeschichte ein bisschen weiter zurückverfolgen; und nicht einfach bei der Bürgerschaft stehen bleiben; und schon sieht alles ganz anders aus. Was immer die Bürger tun oder lassen, tun und lassen die Bürger. Politik muss sie hier nicht pressen. Sie muss gestalten und vorkonfigurieren: Mit Alternativen von Anfang an. Zur Vorlage beim Bürger. Wenn der allerdings selber von „Gesocks“ redet, ist er auch ganz unten angekommen.

Die Politik, und Bernd Klühs bestärkt sie auch noch in ihrer Eigenwahrnehmung, beklagt gerne eine Spaltung der Gesellschaft. Dabei ruft sie maßgeblich selber solche Spaltung hervor. Sie vergreift sich an Transparenz, indem sie, so gut es ihr möglich ist, verdunkelt. Es ist zuerst die Politik, die die Bürger einheizt; und daraufhin heizen die Bürger zurück. Beides müsste nicht sein und wäre auch nicht, wenn Ursache und Wirkung nicht in Nebensätzen verwechselt würden; oder wie im Kommentar von Klühs, die Ursache einfach unerwähnt gelassen wird. Das geht auf Dauer nicht gut. Ein Appell an nur einen Adressaten ist schlimmer als gar keiner.

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